Письмо незнакомки / Brief einer Unbekannten - страница 11

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. Wieder gabst Du mir ein paar Rosen zum Abschied.


Jeden Tag während zweier Monate fragte ich… aber nein, wozu diese Höllenqual[58] der Erwartung. Ich klage Dich nicht an, ich liebe Dich als den, der Du bist. Du warst längst zurück, ich sah es an Deinen erleuchteten Fenstern, und hast mir nicht geschrieben. Ich habe gewartet, ich habe gewartet wie eine verzweifelte[59].

Aber Du hast mich nicht gerufen, keine Zeile hast Du mir geschrieben… keine Zeile…


Mein Kind ist gestern gestorben – es war auch Dein Kind. Es war auch Dein Kind, Geliebter, das Kind einer jener drei Nächte, ich schwöre es Dir, und man lügt nicht im Schatten des Todes. Es war unser Kind, ich schwöre es Dir, denn kein Mann hat mich berührt von jenen Stunden, da ich mich Dir hingegeben.

Es war unser Kind, Geliebter, das Kind meiner wissenden Liebe und Deiner sorglosen, fast unbewussten Zärtlichkeit, unser Kind, unser Sohn, unser einziges Kind. Aber Du fragst nun – vielleicht erschreckt, vielleicht bloß erstaunt, – Du fragst nun, mein Geliebter, warum ich dies Kind Dir alle diese langen Jahre verschwiegen und erst heute von ihm spreche! Doch wie hätte ich es Dir sagen können? Nie hättest Du mir, der Fremden, der allzu Bereitwilligen dreier Nächte geglaubt. Und dann, ich kenne Dich; ich kenne Dich so gut, wie Du kaum selber Dich kennst… Du hättest mich – ja, ich weiß es, dass Du es getan hättest, wider Deinen eigenen wachen Willen, – Du hättest mich gehasst für dieses Verbund.

Ich klage Dich nicht an, mein Geliebter, nein, ich klage Dich nicht an. Verzeih mir, wenn mir manchmal ein Tropfen Bitternis in die Feder fließt.


Ich weiß ja, dass Du gut bist und hilfreich im tiefsten Herzen, Du hilfst jedem, hilfst auch dem Fremdesten, der Dich bittet. Aber Deine Güte ist so sonderbar, aber sie ist – verzeih mir – sie ist träge.[60] Du hilfst, wenn man Dich ruft, Dich bittet, hilfst aus Scham, aus Schwäche und nicht aus Freudigkeit. Einmal, ich war noch ein Kind, sah ich durch das Guckloch an der Tür, wie Du einem Bettler[61] etwas gabst. Du gabst ihm rasch und sogar viel, noch ehe er Dich bat, aber Du reichtest es ihm mit einer gewissen Angst und Hast hin, er möchte nur bald wieder fortgehen, es war, als hättest Du Furcht, ihm ins Auge zu sehen. Diese Deine unruhige, scheue, vor der Dankbarkeit flüchtende Art des Helfens habe ich nie vergessen. Und deshalb habe ich mich nie an Dich gewandt. Ich weiß, du hättest mir damals zur Seite gestanden auch ohne die Gewissheit, es sei Dein Kind, Du hättest mich getröstet, mir Geld gegeben, reichlich Geld, aber immer nur mit der geheimen Ungeduld, das Unbequeme von Dir wegzuschieben.