«Albertine —!»
Und sie erzählte: «Es war am Wörthersee, ganz kurz vor unserer Verlobung, Fridolin. Da stand an einem schönen Sommerabend ein sehr hübscher, junger Mensch an meinem Fenster. Das Fenster war groß und hatte einen Blick auf eine weite Wiese. Wir plauderten miteinander. Und ich dachte im Laufe dieser Unterhaltung… Ja, höre nur, was ich dachte: Was ist das doch für ein lieber, entzückender, junger Mensch! Er musste jetzt nur ein Wort sprechen. Das musste ein richtige Wort sein. So konnte ich zu ihm auf die Wiese kommen und mit ihm spazieren. In den Wald vielleicht. Oder schöner noch konnte es sein: wir führen zusammen in den See mit dem Boot. Er konnte von mir in dieser Nacht alles haben, was er nur wollte. Ja, das dachte ich mir. – Aber er sagte kein Wort. Er küsste nur zart meine Hand. Und am Morgen fragte er mich: Wollte ich seine Frau werden? Und ich sagte ja.»
Fridolin ließ unmutig ihre Hand los. «Und wenn an jenem Abend», sagte er dann, «zufällig ein anderer an deinem Fenster stehen konnte. Ihm konnte das richtige Wort einfallen. Zum Beispiel —», er dachte nach, welchen Namen er nennen sollte.
«Ein anderer. Er hätte sagen können, was er wollte – es hätte ihm wenig geholfen[15]. Und wenn es nicht du gewesen bist, der vor dem Fenster stand» – sie lächelte zu ihm auf —, «dann konnte wohl auch der Sommerabend nicht so schön sein.»
Er verzog spöttisch den Mund. «So sagst du in diesem Augenblick, so glaubst du vielleicht in diesem Augenblick. Aber —» Es klopfte. Das Dienstmädchen trat ein. Sie meldete, die Hausbesorgerin aus der Schreyvogelgasse war da, den Herrn Doktor zum Hofrat zu holen. Ihm ging wieder sehr schlecht. Fridolin ging ins Vorzimmer. Er erfuhr von der Botin, dass der Hofrat einen Herzanfall erlitten. Er fühlte sich sehr übel.
«Du willst fort —?» fragte ihn Albertine. Fridolin antwortete, beinahe verwundert: «Ich muss wohl.» Sie seufzte leicht.
«Es ist hoffentlich nicht so schlimm», sagte Fridolin, «bisher haben ihm drei Centi Morphin immer noch über den Anfall geholfen.» Das Stubenmädchen hat den Pelz gebracht. Fridolin küsste Albertine ziemlich zerstreut. Er eilte sich.
Auf der Straße musste er den Pelz öffnen. Es war plötzlich Tauwetter. In der Luft wehte ein Hauch des Frühlings. Von Fridolins Wohnung in der Josefstadt war es kaum eine Viertelstunde in die Schreyvogelgasse. Da war das Allgemeine Krankenhaus. So stieg Fridolin bald die Treppe des alten Hauses in das zweite Stockwerk. Er zog an der Glocke. Doch merkte er: Die Tür war nur leicht zugemacht. Er ging durch den Vorraum in das Wohnzimmer. Er sah sofort, dass er zu spät kam. Die grün verhängte Petroleumlampe warf einen matten Schein über die Bettdecke. Darunter lag regungslos ein schmaler Körper. Das Antlitz des Toten war überschattet. Doch Fridolin kannte es so gut. Er konnte es ganz deutlich sehen: Hager, runzlig, mit dem weißen, kurzen Vollbart, den häßlichen weißbehaarten Ohren.